Interview mit Horst Hensel zu Salz & Eisen
Herr Hensel, Ihr Roman umfasst drei Bände mit insgesamt rund 1090 Seiten. Können Sie trotz dieses Umfangs mit wenigen Worten sagen, worum es in Ihrem Roman geht?
Ja. Es geht um Menschen inmitten eines bewaffneten Widerstand gegen einen Militärputsch. Im März 1920 griff die Reichswehr nach der diktatorischen Macht. Die rechtmäßige Regierung floh. Zwölf Mil-lionen Werktätige streikten; Arbeiter und Angestellte taten dies offen, Beamte entsprechend ihrem Sta-tus sozusagen verdeckt. Nach wenigen Tage brach der Putsch zusammen. Im Ruhrgebiet –
Womit wir beim Schauplatz wären!
Richtig! Im Revier bewaffneten sich 50 000 Bergarbeiter und Stahlarbeiter und andere, um die Revo-lution von 1918 zum Abschluss zu bringen und um die Übergriffe der Reichswehr auf das Revier ein für alle Mal zu unterbinden. Genauer gesagt, die Kriegszüge General Watters aus der Münsterschen Garnison gegen die Streiks und das Aufbegehren im Ruhrgebiet.
Lassen Sie mich noch beim Schauplatz verweilen. Auf welche Handlungsorte müssen wir uns gefasst machen?
Auf welche quer durchs ganze Revier, von Hamm über Pelkum nach Dortmund und Essen und von Dorsten über den Dämmerwald zur Festung Wesel. Und natürlich kommen auch andere Orte in den Blick: Kamen und Lünen, Unna und Hagen, Wetter und Remscheid; es geht mehrmals nach Berlin und auch nach Koblenz zum Militärgouverneur der USA, es geht nach Barcelona und nach Moskau zu Lenin. – Hab´ ich ein Kaff vergessen?
Das wird man beim Lesen feststellen. Sie haben Watter und Lenin genannt. Gibt es auch andere historisch verbürgte Figuren?
Schriftsteller zum Beispiel, welche, sag´ ich nicht. Und Präsident Ebert und die Minister Noske und Severing, Generalmajor Henry Tureman Allen, zum Lenin noch den Radek, dann Offiziere, Reichs-kanzler und der Reichsbankpräsident, auch de Gaulle und Churchill müssen erwähnt werden, und so weiter – bis hin zu einem Monster, das schattenhaft schon 1920 durch die deutsche Politik streifte und dessen Namen ich außen vor lasse. Hauptsächlich geht es aber um Alltagsmenschen in einer besonde-ren Lage. Gerne nenne ich noch Anton Kalt und Paul Polte aus Dortmund. 1920 waren die beiden sehr jung – als ich sei kennen lernte, waren sie Männer jenseits der Sechzig. Wir wurden Freunde. Beson-ders von Anton habe ich sehr viel aus dem Alltag des damaligen Bürgerkriegs erfahren –
Bürgerkrieg?
Ja. In seiner schärfsten Form: als Klassenkrieg. Und in einer historisch einzigartigen Erscheinung: Nir-gendwo bis dahin hatten sich vermittels eines Generalstreiks so schnell so viele Menschen zu Republik und Demokratie bekannt! Ein Ruhmesblatt der Deutschen! Warum so unbekannt? Und nirgendwo bis heute haben sich 50.000 Arbeiter bewaffnet reaktionären Putschisten in den Weg gestellt! Ein Ruh-mesblatt der deutschen Arbeiterbewegung! Vielleicht gerade deshalb so vergessen gemacht? Und so verleumdet?
Haben Sie Lieblingsfiguren in Ihrem Roman?
Ein Vater sollte keine Lieblingskinder haben. Gefallen finde ich an der schrägen Malerin Giulietta Mil-le Fleurs, an der Köchin Henriette und an ihrer Chefin Frau Katharina, besonders an Auguste Kalinna und an ihrer Großmutter und an dem Arbeiterführer Stiepe Melvedin – sehr an Amalie Schaumann, die vor Festung Wesel zum Rückzug und zum Friedensschluss geraten hatte. Auch Heinrich Heine gefällt mir, der aus dem Jenseits heraus den Arzt Rinkendeel besucht. Und von seinen Begegnungen mit Marx und Engels, mit Goethe und Hegel erzählt. Sie sehen, es gibt nicht nur historischen Realismus, sondern auch Surrealismus in dem Buch.
Was ist mit der Arbeitswelt?
Wir erleben die Arbeit in einem Stahlwerk. Und die auf Zeche. – Ein Kapitel ist der Zubereitung eines Hochzeitsessens gewidmet. Das ganze Buch ist Arbeitsweltliteratur.
Können Sie etwas zur Entstehungsgeschichte des Romans sagen?
Vor rund 55 Jahren lernte ich Anton Kalt kennen. Seitdem wollte ich den Roman über den Bürgerkrieg an der Ruhr schreiben. Alle Verlage und Freunde rieten ab. Hin und wieder notierte ich dennoch et-was. Dann begann ich wie im Trotz vor rund 20 Jahren mit dem Buch, immer wieder unterbrochen. Die meisten der tausend Seiten habe ich in den letzten drei, vier Jahren geschrieben.
Warum wurde Ihnen abgeraten?
Klassenkampf und Bürgerkrieg? Kein Thema im Literaturbetrieb! Arbeitende Menschen als romanfä-hige Wesen? Kein Thema! Ein die ganze Gesellschaft umfassender Roman … viel zu viel Lesestoff; besser was Kleines, zum Beispiel was über die Lebensnot bei der Selbstfindung in Zeiten des Klima-wandels und mit Covid und Gewichtsproblemen. So´n Zeugs also. Figuren aus Schlagsahne. Nichts für mich. Wenn, dann backe ich Brot.
Das Werk kann hier erworben werden.